Am 5. Mai 2003 hielt Oberstudienrat Dr. Holger Ueberholz einen Vortrag über seine Dissertation "Die Evangelische Kirchengemeinde Vohwinkel während der Zeit des Nationalsozialismus", zu dem ihn der Männertreff Vohwinkel Mitte / Nord eingeladen hatte. Viele Vohwinkeler waren der Einladung gefolgt, zumal in diesem Jahr der 70. Wiederkehr der Machtergreifung Hitlers gedacht wird.
Der Referent verwies zu Anfang ausdrücklich darauf hin, dass er großen Wert auf die Feststellung lege, dass er niemanden wegen seines früheren Verhaltens persönlich verurteilen möchte.
Er dankte noch einmal dem Vohwinkeler Presbyterium mit seinem damaligen Vorsitzenden, Pfarrer Max Koranyi, für die großzügige Unterstützung dieser Arbeit, zumal der Anlass hierzu 1983 von einer Vortragsreihe "50 Jahre Machtergreifung" ausgegangen war, als Ueberholz von Koranyi gebeten wurde, über die Kirchengemeinde Vohwinkel während der Nazizeit zu referieren.
Als wichtige Quelle für diese Dokumentation erwies sich das wöchentlich erscheinende "Evangelische Gemeindeblatt Vohwinkel", das identisch war mit dem "Lutherischen Gemeindeblatt Elberfeld" und auch eine eigene Seite mit Nachrichten und Berichten aus der Vohwinkeler Gemeinde hatte, die beide Geistlichen verfassten.
Nachdem der Referent kurz den Lebenslauf der beiden im 3. Reich in Vohwinkel amtierenden Pfarrer Dr. Paul Thumm (1870-1944) und Georg Hülsebus (1886-1967) vorgetragen hatte, beschrieb er die Situation der Gemeinde im ereignisreichen Jahr 1933. Er nannte die zunächst abwartende Haltung der Pfarrer, die aber mit dem "Tag von Potsdam" am 21.3.1933 aufgegeben wurde, zumal Hitler den beiden großen Konfessionen weitreichende Zugeständnisse gemacht hatte und die christlichen Fundamente die unerschütterlichen Fundamente des sittlichen und moralischen Lebens im neuen deutschen Staat bilden sollten. Am 1.5.1933 hielten auch die Vohwinkeler Gemeindepfarrer einen speziellen Fürbittengottesdienst für das neue Regime, denn auch sie hatten die "nationale Erhebung" freudig begrüßt.
Besonders Pfarrer Dr. Thumm konnte in seinem Pfingstbeitrag kaum zwischen politischer Realität und seinen theologischen Fiktionen differenzieren, wenn er frenetisch den "Umschwung" beschrieb und dabei kaum zwischen dem Führer Hitler und der Führung des Heiligen Geist unterscheiden konnte: "Den Umschwung brachten einzig die Führer oder der Führer. Und der Führer erreichte es auch nur durch Geisteswirkung, vermöge einer Kraft des Geistes, die von ihm ausging."
Thumm wie auch sein Kollege Hülsebus und viele andere deutsch-christliche Pastoren waren davon überzeugt, dass Gott diese geschichtliche Wende bewirkt und Hitler mit dem Heiligen Geist inspiriert habe. Thumm hatte keine theologischen Bedenken, die Erneuerung des Vaterlandes als ein Pfingstwunder darzustellen. Er vermischte ohne theologische Einwände politische Ereignisse des Nationalsozialismus mit der biblischen Botschaft von Pfingsten. Andere weitblickende und nationalistisch nicht so verblendete Theologen (wie der lutherische Pfarrer Richard Karwehl, Hannover) hatten schon 1931 mit Nachdruck davor gewarnt, in die Ereignisse der politischen Geschichte Gottes Willen hineinzuprojizieren: "Was Gott im politischen Leben will, weiß niemand... In der Regel ist Gott jedenfalls nicht, wo die Leute ihn am lautesten für ihre Ziele in Anspruch nehmen."
So blieb es nicht aus, dass die deutsch-christlichen Vorstellungen auch in die Gemeinde Vohwinkel eindrangen. Im Sommer 1932 hatten die Deutschen Christen ihre Richtlinien veröffentlicht und Teile der biblischen Botschaft im Sinn des nationalsozialistischen Denkens verändert. Diese Deutschen Christen wollten eine enge Verbindung der evangelischen Kirche mit dem Staat Adolf Hitlers und warben in den einzelnen Gemeinden für ihre Konzeption. Dabei plädierten sie stark für die Volksmission, und es war schon beeindruckend, wenn scharenweise SA und SS, wenn auch mit ihren Fahnen, in die Gottesdienste zogen. So ist es verständlich, wenn viele Pfarrer zu jener Zeit diese Propaganda nicht durchschauen konnten und für die Deutschen Christen votierten. Denn diese versteckten sehr geschickt ihre wahren theologischen Intentionen hinter ihrer werbewirksam inszenierten volksmissionarischen Aufbruchsstimmung. Vor allem verbargen sie ihr eigentliches Anliegen, ein artgemäßes und völkisches Evangelium im Dritten Reich zu propagieren, das von aller Minderwertigkeits- und Mitleidstheologie des Rabbiners Paulus befreit sein sollte und vor allem das Alte Testament als Viehhändler- und Zuhältergeschichtsbuch ablehnte.
Der Leiter dieser Vohwinkeler Deutschen Christen war der bekannte Rektor Gustav Schlipköter, der bei den Kirchenwahlen am 23.7.1933 neu ins Presbyterium gewählt wurde und auch überregional in den Synoden Stimme und Einfluss hatte. Sein Stellvertreter war der spätere Gemeindeamtsleiter Karl Hoffmann, der sich sehr um die Jugendarbeit im CVJM gekümmert hatte. Beide waren tonangebend bei der 1. Informationsveranstaltung dieser Gruppierung, die am 15.6.1933 im evangelischen Gemeindesaal tagte und sehr gut besucht war (auch viele Freikirchlicher waren dabei, wie ausdrücklich im Bericht erwähnt wurde). Sie stand unter dem Thema "Wer sind und was wollen die Deutschen Christen?"
Die beiden Gemeindepfarrer hatten die Gemeinde zu dieser Veranstaltung sehr herzlich eingeladen, da sie betonten, dass "sich unsere Gemeindeglieder mit den Gliedern der Glaubensbewegung finden wollen und sollen". Die Deutschen Christen stellten aber nicht ihr kirchenpolitisches Programm vor, sondern betonten besonders den missionarischen Aspekt ihrer Arbeit. Pastor Thumm schrieb hierüber: "Wer wirklich die Arbeit eines Missionars richtig auffasst, kann die brennende Begeisterung und den Drang der neuen Glaubensbewegung verstehen, die in neuer Art die Arbeit für Gottes Reich in die Gemeinden und dadurch auch in die Kirche hineintragen will."
Der Referent machte deutlich, dass die "neue" Art der Arbeit zwar genannt wurde, dass aber die Deutschen Christen das Novum bewusst nicht näher erläutert hätten.
Auch wenn die Vohwinkeler Geistlichen Hülsebus und Dr. Thumm wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt noch nicht die ganze Tragweite der Deutschen Christen erkennen konnten (oder wollten), so gab es doch im eigenen Gemeindeblatt schon zu Anfang kritische Stimmen, die vor einer falschen Verflechtung von Politik und Kirche warnten und damit die Gefahren einer Verfälschung des Evangeliums im nationalsozialistischen Geist voraussahen. So schrieb der Schriftleiter des Lutherischen Gemeindeblattes Elberfeld (wie schon oben erwähnt identisch mit dem Vohwinkeler Gemeindeblatt), Pfarrer Buddeberg: "Aber die Sorge bewegt uns, dass die ganze Bewegung in politische Kampfmethoden hineingerät, die nicht bloß den kirchlichen Kampf verbittern, sondern auch die Kirche selbst bedrohen. Denn die Kirche darf nicht durch ein falsches Verflochtenwerden mit der Politik in ihrer inneren Freiheit und Reinheit gefährdet werden".
Im Juni 1933 veranstaltete der damals sehr biblisch orientierte CVJM eine germanisch-heidnische Sonnenwendfeier, und am 30.7.1933 fand der "Braune Tag" in Vohwinkel statt. Das Presbyterium der evangelischen Kirchengemeinde fühlte sich geehrt, dass die SA-Mannschaften um einen Festgottesdienst gebeten hatten, den ein auswärtiger Pfarrer und Parteigenosse übernehmen wollte.
Man kann gewiss kein gebrochenes Verhältnis zum NS-Staat konstatieren, wenn die Gemeindeleitung sofort bereit war, den Hauptgottesdienst durch einen nationalsozialistisch geprägten Sondergottesdienst für SA-Kameraden zu ersetzen, den ein erklärtes Mitglied der NSDAP in seiner Eigenschaft als evangelischer Pfarrer abhalten wollte. Die Begründung hierfür erscheint uns heute kaum stichhaltig und einleuchtend: "Die vielen Freunde in der SA wollen sich kennen lernen, dem Ort will man einen Erweis der Zusammengehörigkeit vermitteln. Der ganze Tag gehört dieser Zusammenkunft."
Der Referent kommentierte hierzu: "Durch diese kirchliche Legitimation nationalsozialistischer Machtentfaltung drückte das Vohwinkeler Presbyterium eine vorbehaltlose Bejahung des neuen Staates öffentlich aus und machte sich damit zum Handlanger der weltlichen Macht, um ein SA-Treffen mit einem gottesdienstlichen Rahmen würdig zu gestalten."
Auch in Vohwinkel musste am 23.7.1933 ein neues Presbyterium gewählt werden. Hülsebus kommentierte hierzu: "Es sei klar, dass bei einer so gewaltigen Umwälzung das Alte und Morsche stürzen müsse und dass dabei auch Liebgewordenes hinfalle, aber es gehe doch im Augenblick nicht um solche Nebensächlichkeiten, sondern um die letzten und tiefsten Fragen, die unser Volk bewegten." Diese Aussage macht deutlich, dass Hülsebus mehr vom völkischen Aspekt als von der kirchlichen Tradition bestimmt war. Wie überhaupt in der Theologie der Deutschen Christen, nahm auch bei diesem Pfarrer das Volkstum einen normierenden Stellenwert ein.
Durch die massive Wahlbeeinflussung der NSDAP zugunsten der Deutschen Christen war eine freie und unparteiische Kirchenwahl kaum möglich. Die Gemeindeglieder wagten kaum noch gegen die Deutschen Christen eine eigene Wahlliste aufzustellen, um ja nicht der Illoyalität gegenüber dem NS-Staat bezichtigt zu werden. Auch in Vohwinkel gab es nur, wie in fast allen Gemeinden, eine Einheitsliste der Deutschen Christen. Viele jüngere deutsch-christlich ausgerichtete Männer wurden ins Presbyterium gewählt. Hülsebus sprach vom Anbruch einer großen Zeit, die er mit dem Reich Gottes verknüpfte: "Das Reich Gottes kann in mannigfacher Weise sich auswirken und durchsetzen. Es ist wohl zumeist so gewesen, dass das Erwachen von einer Persönlichkeit ausging. Aber die Souveränität Gottes kann auch einmal ganz andere Wege gehen. Nicht, als ob ich damit ausdrücken wollte, dass die Glaubensbewegung das anbrechende Gottesreich darstellte. Nein, aber der Sturm, der durch den Kirchenwald braust, kann auch eine Erquickung bringen... Ob Gott so nicht auch einmal wirken kann?"
Auch die Repräsentanten der Kirchengemeinde Vohwinkel standen in dem breiten Strom der nationalen Begeisterung und unterstützten von daher die Zielsetzung, dass Volk und Kirche sich finden müssten.
Dr. Holger Ueberholz
Text Dr. Holger Ueberholz aus:
Bürger - INFO 2004
Herausgeber Bürgerverein Vohwinkel e.V.
Der Veröffentlichung des Textes und des Fotos auf dieser Webseite
haben Dr. Holger Ueberholz und der Bürgerverein Vohwinkel e.V.
freundlicherweise zugestimmt.